Sylt | Der Klimawandel ist aktuell das vorherrschende Thema der Nachrichtenwelt: Die Folgen der Erderwärmung, die der Uno-Weltklimarat prognostiziert, sind verheerend. Auch in Deutschland forschen Wissenschaftler zu den möglichen Auswirkungen der globalen Erwärmung. Spiegel-Online berichtete am Montag über eine bisher unveröffentlichte Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die sich ausschließlich mit den Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs auf die deutschen Küsten befasst.
In dem 19-seitigen Papier, das dem Nachrichtenmagazin nach eigenen Angaben vorliegt, heißt es, dass als „potenziell überflutungsgefährdet diejenigen Gebiete an der Nordsee gelten, die nicht höher als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegen“ – also auch große Teile von Sylt.
Eine auf den ersten Blick erschreckende Prognose, allerdings keine wirklich Neue – wie sowohl der Sylter Küstenschützer Helge Jansen als auch der Grünen-Politiker und Biologe Lothar Koch betonen. Beide warnen seit Jahren vor den Folgen des Klimawandels auf die Sylter Küste – doch viele würden ihre Worte nicht ernst nehmen. „Die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs sind längst bekannt. Das rufen die Spatzen alle zwei Tage von den Dächern, aber keiner will es hören“, bemerkt Lothar Koch. Er hofft, dass den Ergebnissen der Wissenschaftler – nun, da sie in einem Bundespapier zusammengefasst sind – von den Bürgern endlich Glauben geschenkt wird.
„Das hat nicht irgendeine Lobbyistengruppe erstellt, sondern eine sehr angesehene Einrichtung, die so objektiv wie möglich ist“, sagte Koch unserer Zeitung. Um der in dem Papier prognostizierten Entwicklung entgegenzuwirken, sollte der Begriff Küstenschutz „schleunigst breiter definiert werden als bisher“, so Koch. „Es kann nicht nur darum gehen, immer mehr Millionen in höhere Deiche und weitere Sandvorspülungen zu stecken. Es muss auch zügig in die Vorsorge investiert werden. Das bedeutet, Klimaschutz durchführen, wo immer es möglich ist – und zwar schnell.“
Ob beim Verkehr, in der Gebäudesanierung oder der Gastronomie – Sylt hinke laut einem Gutachten aus dem Jahr 2011 mit Klimaschutzmaßnahmen drastisch dem Durchschnitt hinterher. „Der eingestellte Klimaschutzmanager warf frustriert das Handtuch, weil zu wenige Institutionen der Insel aktiv mitzogen.“ Dabei sollte gerade Sylt seinen Promifaktor als sturmflutgefährdete Insel nutzen und als gutes Beispiel vorangehen, findet der Grünen-Politiker.
„Die Bereitschaft des Bundes-Steuerzahlers, den Schutz unserer Insel mitzufinanzieren, wenn keine Eigenanstrengungen sichtbar sind, wird bald an seine Grenzen kommen.“ Auch Küstenschutz-Experte Helge Jansen betont: „Alles, was in dem Papier steht, ist nichts Neues.“ Er wiederhole seit einiger Zeit gebetsmühlenartig, dass die Menschen auf Sylt sich mit einer Elementarversicherungen auf den Schadensfall vorbereiten müssten. Oft erhalte er dann die Antwort: „Mich betrifft das ja nicht“. Doch genau hier liege der Irrtum: „Wir werden alle damit zu tun haben“, so Jansen.
Sturmfluten werden heftiger
Vor eineinhalb Jahren hätte die Landesregierung den Prospekt „Naturgefahren – Der echte Norden sorgt vor“ herausgegeben, in dem klar vor Hochwasserschäden gewarnt wird und in dem steht, dass weder Bund, noch Land, noch die Gemeinden für Schäden an privaten Gebäuden und Grundstücken, die durch Sturmfluten, Hochwasser oder Starkregen hervorgerufen werden, haften. „Dieser Prospekt war sein Geld nicht wert, mit dem er gedruckt wurde, denn er wurde von den Menschen im Land kaum wahrgenommen“, sagt Jansen.
Das Problem sei der Glaube, dass diese Szenarien „irgendwann“ kommen würden. Doch genau hier liege der Irrtum: „Es wird uns auf jeden Fall treffen. Wir werden erheblich mehr Regen bekommen, wir werden erheblich mehr Wärme bekommen und die Sturmfluten werden zwar nicht mehr, aber sie werden heftiger“, prognostiziert der Vorsitzende der Stiftung Küstenschutz. „Wenn sich die Menschen also nicht heute damit gedanklich auseinandersetzen, dann ist es irgendwann zu spät. Wir müssen uns jetzt über die ordentliche Ableitung von Regenwasser und den Hochwasserschutz kümmern.“
Für Meeresspiegelanstieg von einem Meter gewappnet
Dass sich in Schleswig-Holstein sogar ein Drittel der Landesfläche unter fünf Metern über dem Meeresspiegel befindet, weiß auch Birgit Matelski, die neue Direktorin des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN). Grund zur Sorge gäbe es dennoch nicht: „Wir kennen die Szenarien und sind für einen Meeresspiegelanstieg von einem Meter auf jeden Fall gewappnet, wenn nicht sogar eineinhalb Meter“, sagt sie.
Für Sylt würde ein steigender Meeresspiegel gegebenenfalls mehr Sand bedeuten. „Wir halten die Linie, das wird jedes Jahr überprüft und es wird jedes Jahr bestimmt, wie viel Sand vorgespült wird.“ Bisher würde die Insel damit gut zurecht kommen. „Wenn aber der Meeresspiegel steigt, müssen wir uns dementsprechend anpassen – und das werden wir auch tun.“
– Quelle: https://www.shz.de/21275922 ©2018